GMS Standpunkt Juli 2016 / Misstrauen – kein Leitfaden im Umgang mit Muslimen
05.07.2016

Misstrauen – kein Leitfaden im Umgang mit Muslimen

Seitdem Muslime in Europa gehäuft in die Schlagzeilen geraten, wächst eine diffuse Verunsicherung. Ein reflexartiges Misstrauen gegenüber „dem Islam“ schlechthin macht sich auch in der von terroristischen Attentaten verschonten Schweiz bemerkbar. Ist der Koran eine Hetzschrift gegen Ungläubige? Stellen Zuwanderer und Flüchtlinge die europäische Errungenschaft eines Frauenbildes, das die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Respektierung weiblicher Autonomie hochhält, in Frage?

Mediale Aufregung kennt keine Landesgrenzen. Dabei führen die gegen 450 000 Muslime, die in der Schweiz zuhause sind, ein weitgehend unauffälliges Leben. Und sie stammen, wenn sie nicht hier geboren sind und der zweiten oder dritten Generation angehören, zum überwiegenden Teil aus Regionen – insbesondere des Balkan oder auch der Türkei –, denen jegliche Fundamentalismen fern sind oder zumindest zum Zeitpunkt ihrer Auswanderung als Gastarbeiter fern waren. Wer wiederum als Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtling kam, ist meist eben jenen Gruppen und Ideologien entkommen, deren Exponenten westliche Werte im Visier haben.

Doch angesichts der Attentate von Paris und Brüssel, angesichts der kriegerischen Ausbreitung des „Islamischen Staates“, der nichts mit einem Staat gemein hat, aber mit seiner brutalen Militanz junge Menschen dazu verführt, der Demokratie den Rücken zu kehren, wächst die Angst. Und es wächst ein Generalverdacht, der sich auch gegen Muslime in unserem Land richtet. Eine Abwehr- und Hassrhetorik – „Der Islam gehört nicht zu uns“ – greift als globales Lauffeuer um sich. Wer Widerrede leistet, gerät nicht selten ebenfalls in ihr Visier oder wird zumindest als naiv abgestempelt.

Die verbale Aufheizung eines Kulturkonfliktes hat zahlreiche Mitspieler. Wenn der Leader der Eagles of Death Metal Monate nach dem tödlichen Anschlag auf den Pariser Club Bataclan – wo seine Gruppe damals gerade auftrat – behauptet, das arabische Wachpersonal des Lokals habe den Überfall begünstigt und eine grosse muslimische Verschwörung unterstellt, beflügelt er die Paranoia des Verdachts.

Der IS, der letztlich die gesamte muslimische Welt unter die Herrschaft des Kalifates zwingen will, ist nicht nur ein rückwärtsgewandtes Projekt, sondern bedient sich auch der Logik der Globalisierung. Über die neuen Medien werden weltweit demokratische Werte diskreditiert, radikale Ideen verbreitet und Kämpfer rekrutiert, die sich in deren Dienst stellen. Wie verwundbar auch europäi-sche Staaten sind, zeigt die Tatsache, dass in ihnen beheimatete junge Menschen sich mitunter für das zerstörerische Projekt gewinnen lassen. Auch aus der Schweiz sind bisher über 70 Kämpfer in den Irak oder nach Syrien gereist. Manche von ihnen kamen um.

Heimkehrer erwartet nicht nur ein Strafverfahren, sie sollen laut Terrorismusexperten auch in der Prävention eingesetzt werden, haben sie doch traumatische Erlebnisse hinter sich. Vielleicht hilft solche Abschreckung. Doch die beste Prävention ist wohl ein Zugehörigkeitsgefühl und ein Urvertrauen, das junge Menschen gegen die Verführung durch Sekten jeder Art immun macht.

In diesem Zusammenhang ist die Episode der Lehrerin einer Baselbieter Schule hilfreich, der zwei muslimisch sozialisierte Schüler den Händedruck verweigerten. Die kantonale Bildungsdirektion hat umgehend ein Gutachten erstellen lassen, wonach es keine Dispensation „aus religiösen Gründen“ von dieser Gepflogenheit des schulischen Alltags geben darf. Tatsächlich sind Begrüssung und Verabschiedung zwischen Lehrperson und Schulkindern essentiell für die Vergewisserung der gegenseitigen Präsenz. Das Reichen der Hände markiert eine Verbindlichkeit, die das Mitmachen im kollektiven Unterricht und somit die Integration fördert. Und es ist allen, nicht nur den muslimischen Kindern bekömmlich.

Darauf zu bauen, dass ein inklusives Schulklima vor jeglicher Verführung behüte, reicht jedoch nicht. Die Pflicht, Alltagsregeln im öffentlichen Raum einzuhalten, mag das Abdriften in selbstge-fährdendes Verhalten bannen. Doch gefragt ist hier nicht nur die Aufnahmegesellschaft, auch die Muslime in unserm Land, Imame und weitere kulturelle Multiplikatoren, sind in der Pflicht. Skepsis gegenüber autoritärem Dogmatismus, der in ihren Herkunftsländern und unter ihren Mitbürgern herrschen mag, ist die Haltung vieler Migranten, die sich einen aufgeklärten Islam wünschen. Das Hinterfragen religiöser Vorschriften, die Diskussion über deren Legitimation und Sinn, muss insbesondere den Heranwachsenden angeboten werden. Und das Angebot muss aus der Gemeinschaft selbst kommen.

Navid Kermani, der 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bedacht wurde, setzte ein wegweisendes Zeichen mit seinen Worten: „Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt, der liebt den Islam nicht.“ Es liegt also nicht in erster Linie an der Mehrheitsgesellschaft, Islamkritik zu üben, auch wenn das akademisch durchaus statthaft ist. Es sind die Muslime, die zur Selbstkritik berufen sind. Wobei das nicht auf Muslime allein zutrifft. Das Diktum von Kermani gilt auch für Christen, Juden oder überzeugte Atheisten.

Die Gastländer allerdings können die Rahmenbedingungen schaffen, damit gerade da, wo Muslime nicht unter dem Druck aggressiver Vereinnahmung stehen, eine vertiefte Reflexion über den eigenen Glauben und vielleicht auch eine Erneuerung des Islam stattfinden kann. Die Begründung einer liberalen Moschee ist denn auch ein Anliegen vieler gebildeter Einwanderer in europäischen Ländern. Gerade ein universitär eingebundenes Islamzentrum wie jenes, das im Schweizerischen Freiburg geplant ist, sollte nicht im Geiste des Misstrauens in Frage gestellt werden.

GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz

11.07.2025

Die GMS engagiert sich im Trägerverein des Schweizer Memorials

Was ist das Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus?

Mit dem Schweizer Memorial wird den unterschiedlichsten Opfern des Nationalsozialismus gedenkt. Es versteht sich als Erinnerungsort, Vermittlungsort und Netzwerk in einem.

Seit der Bundesrat im April 2023 entschieden hat, einen Erinnerungsort mit 2,5 Millionen Franken zu errichten, haben, unter Federführung des Eidgenössische Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Vertreter:innen der Stadt Bern, des Schweizerisches Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und des Archivs für Zeitgeschichte (AfZ) der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Fachpersonen intensiv am Projekt gearbeitet und dessen Strukturen aufgebaut und gefestigt.

Der Erinnerungsort ist heute auf der Casinoterrasse in Bern geplant, das «Vermittlungszentrum Flucht» in Diepoldsau.

Ein Trägerverein für das Schweizer Memorial

Seit 2025 gibt es neben des Netzwerkvereins auch den Trägerverein. Ihm obliegt die langfristige Verantwortung für den Erinnerungsort in Bern – insbesondere für dessen Betrieb, Pflege, Sicherheit und dessen Weiterentwicklung. Später kann der Trägerverein eine entsprechen Rolle für das geplante «Vermittlungszentrum Flucht» im St. Galler Rheintal übernehmen. Der Verein versteht sich als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft, Fachwelt und Behörden. Neben dem SIG und dem AfZ ist auch die GMS Mitgründerin des Trägervereins.

Die GMS engagiert sich für ein inklusives, zukunftsgerichtetes Gedenken und bringt ihre
Perspektive auf Minderheitenrechte und Erinnerungskultur ein.

Webseite des Schweizer Memorials
Medienmitteilung Wettbewerbslancierung

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