Neues aus der GMS
Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin
Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich.
Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.
Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.
Foto: Alain Picard
Ein wenig Historie der GMS aus der Perspektive von Cécile Bühlmann
Zum Anlass des Rücktritts aus dem GMS-Vorstand nach 33 Jahren
Ein wenig Historie der GMS aus der Perspektive von Cécile Bühlmann
Entstehung der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz
Am 22. November 1982 fand die Gründungsversammlung der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz in Zürich statt. Die Initianten waren in erster Linie die drei bekannten Zürcher Persönlichkeiten Dr. Sigi Feigel, Alfred A. Häsler und der Staatsrechtler Prof. Dr. Werner Kägi. Alt BR Willy Spühler wird erster Präsident.
Bezeichnend ist, dass man damals vor allem an die alt eingesessenen sprachlichen und kulturellen Minderheiten dachte: die Rätoroman:innen, die Jüdinnen und Juden und die Jenischen. Man sah die Notwendigkeit, «den Grundsätzen der Toleranz und der gegenseitigen Achtung auch im Fühlen, Denken und Handeln des Volkes im Alltag Geltung zu verschaffen. Dies soll durch Aufklärung, durch gegenseitiges Sich-Kennenlernen, durch Erhaltung, Pflege und Zugänglichmachen der Kulturen der Minderheiten geschehen.»
Tätigkeiten der GMS ab 1982
Aus den Akten habe ich erfahren, was damals schon Grosses geleistet wurde.
1983 Symposium an der Uni Bern «Asylpolitik auf dem Prüfstand»
1985 Symposium an der Uni Bern «2. Ausländergeneration»
An diesem Symposium nahm ich als Beraterin für Schulfragen der Ausländerberatungsstelle des Kantons Luzern teil.
1988 Symposium an der Uni Bern «Zuwanderer aus der Dritten Welt»
1992 Symposium im Kongresshaus Zürich «Angst vor Fremden – gestern und heute – wie gehen wir damit um?»
Auffallend ist, dass schon früh das GMS-Engagement für Lehrmittel beginnt. Sigi Feigel und Alfred A. Häsler nahmen am Projekt «Minderheiten in der Schweiz» der Lehrmittelkommission Zürich teil. 1997 entstand dann die Stiftung Erziehung zur Toleranz SET für die pädagogischen Tätigkeitsfelder mit Kindern und Jugendlichen, gegründet von der GRA.
1990 wurde Werner Kramer neuer GMS-Präsident (nach längerem Suchen). Alt BR Hans Hürlimann kam in den Vorstand. Werner Kramer blieb bis 2008 Präsident.
In meiner Erinnerung war Sigi Feigel der heimliche Präsident, er war offiziell aber nur der Vizepräsident, allerdings mit dem Zusatz: Geschäftsführender Vizepräsident. Heute würde man sagen: Geschäftsführer.
Meine Wahl in den GMS-Vorstand
Am 26. Januar 1994 wurde ich in den Vorstand gewählt. Mit mir zusammen wurden Verena Grendelmeier und Peter Arbenz gewählt. Für meine Aufnahme in den Vorstand sprach die Tatsache, dass ich die Beziehungen zwischen der GMS und der «Parlamentarischen Gruppe gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit» im Eidgenössischen Parlament pflegte, wie es im Protokoll heisst.
Zu dieser Gruppe: sie wurde anfangs März 1992 von der GMS initiiert. Ihre Hauptaufgabe war damals, für den Beitritt der Schweiz zur Internationalen Antirassismus-Konvention zu lobbyieren. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, mit allen geeigneten Mitteln eine Politik der Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung und der Förderung des Verständnisses unter allen Ethnien zu verfolgen. Sie war am 21. Dezember 1965 in New York von der UNO-Generalversammlung verabschiedet worden. Die Schweiz trat erst Ende 1994 dem Abkommen bei.
An der konstituierenden Sitzung der Parlamentarischen Gruppe gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am 16. Juni 1992 wurde ich zusammen mit Rosmarie Dormann – sie wurde Präsidentin – und weiteren fünf Mitgliedern von National- und Ständerat in den Vorstand dieser Gruppe gewählt. Das war fünf Monate nach meiner Wahl in den Nationalrat. Von der GMS waren Sigi Feigel und Alfred A. Häsler anwesend. Walter Blum wurde von Sigi Feigel als Sekretär der Gruppe eingesetzt, finanziert wurde sie von der GRA.
Wegen meines Engagements im Parlament und in der Parl. Gruppe gegen Rassismus war Sigi Feigel auf mich aufmerksam geworden und hatte mich in die GMS geholt. Ich war mit Abstand die jüngste und die linkste und Frauen gab es noch sehr wenige.…
Ich war sehr geehrt, als er mich anfragte, in den GMS-Vorstand zu kommen. Er und Alfred A. Häsler waren für mich damals grosse Vorbilder im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus und Häslers Buch «Das Boot ist voll» war für mich damals eines der wichtigsten Bücher. Es war 1980 verfilmt worden.
Die GMS lebte ganz stark von Sigi Feigel, er war Ideengeber, Vernetzer, Geldgeber. Er war ein geselliger Mensch. Einmal im Jahr lud er die GMS-Vorstandsmitglieder samt ihren Partner:innen in ein schickes Restaurant in Zürich ein.
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR
Ein Jahr später, 1995 entstand im Zuge der Ratifizierung der UN-Antirassismus-Konvention durch die Schweiz die Ausserparlamentarische Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR. Ich wurde zusammen mit Georg Kreis als erstem Präsidenten als erste Vizepräsidentin in diese Kommission gewählt. Wir waren zusammen 12 Jahre in der Leitung der EKR in ihrer Pionierphase, bis 2007. Unsere Verlautbarungen riefen heftige Reaktionen hervor und immer wieder wurde im Parlament von rechts die Abschaffung der Kommission gefordert. Die Tatsache, dass ich als Nationalrätin Mitglied in einer Ausserparlamentarischen Kommission wurde, gab heftig zu reden. Die EDI-Vorsteherin Ruth Dreifuss antwortete jeweils, dass ich nicht wegen sondern trotz meines Parlamentsmandates in der EKR sei, nämlich als Expertin für Rassismusfragen (Schule und Rassismus). Durch diese Mitgliedschaft wurde der Link zwischen GMS und EKR verstärkt.
1992 Der Fischhof-Preis
Im Jahr 1992 fand die erste Fischhof-Preisverleihung an Rolf Lyssy (Film Schweizermacher) und Alfred A. Häsler statt. Der Journalistenpreis ging an Klara Obermüller, die Festrede hielt Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Bundestages.
Es gab immer wieder Kontroversen, wem dieser Preis verliehen werden sollte, einer prominenten Persönlichkeit wie einem Bundesrat, der sich für die Aufarbeitung der Geschichte der Schweiz im zweiten Weltkrieg oder die Solidaritätsstiftung stark machte, dies aber immer im Amt als Bundesrat. Oder einer mutigen Person aus der Zivilgesellschaft, die durch ihr persönliches unermüdliches Engagement viel riskierte.
Die heftigste Debatte gab es 2005 um die Wahl des Fifa-Präsidenten Sepp Blatter, es war eine richtige Zerreissprobe GRA gegen GMS. Durch die Wahl des zweiten Preisträgers Paul Rechsteiner wurden die Kritiker:innen wieder ins Boot geholt, die sonst der Preisverleihung ferngeblieben wären, ich war eine davon.
Das Jahr 1992 war der Beginn der Chronologien, geschrieben von Regula Bähler, später von Hans Stutz.
1994/5 Antirassismus-Strafnorm 261bis – Abstimmung
1994 war der GMS-Schwerpunkt das Engagement für die Antirassismus-Konvention, sie gründete ein Überparteiliches Komitee und initiierte lokale Komitees.
Im Jahr 1995 fand die Abstimmung zur Antirassimus-Strafnorm statt, die GMS hatte einen wesentlichen Beitrag zum Ja von 54% geleistet. Stände 11.5 zu 11.5! Ich war Vizepräsidentin des überparteilichen schweizerischen Komitees gewesen, das war pickelhart! Wir wurden anonym mit dem Tod bedroht, falls wir die Abstimmung gewinnen sollten. Für die Abstimmungsfeier brauchten wir dann Polizeischutz!
Ich bekam als Anerkennung für den grossen Einsatz und die vielen Anfeindungen zwei Jahre später den Fischhof-Preis, zusammen mit Lili Nabholz, der Preis für Menschlichkeit ging an Peter Arbenz.
1999/2000 Der Kosovo-Krieg
Die GMS hatte eine Tagung zu den Kosovo-Albaner:innen in der Schweiz durchgeführt, sie waren damals die Sündenböcke unter den Eingewanderten.
Dann kam der Krieg, für die GMS stand der Einsatz für die Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo im Vordergrund.
In Zusammenarbeit mit dem Pestalozzianum Zürich ermöglichte die GMS die Durchführung zweier Weiterbildungskurse für albanisch sprechende Lehrpersonen in der Schweiz, welche Flüchtlingskinder unterrichten oder den längerfristig in der Schweiz lebenden Kindern Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur erteilen.
2001 Newsletter
Ab 2001 gab es neu zweimal jährlich den Newsletter, auch weiterhin erschienen immer wieder Stellungnahmen in Inserat-Form.
Fachtagung «Rechtsextremismus – vom Einstieg zum Ausstieg» mit Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.
Erste GMS-Homepage wird aufgeschaltet.
2002 Schwerpunkt die Minderheit der Jenischen
Schwerpunktprojekt des Jahres war die Fotoausstellung «Nomaden in der Schweiz», welche die GMS in Zusammenarbeit mit dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich im Stadthaus Zürich durchführen konnte.
2003 Fachtagung «Antisemitismus – Rassismus in der Schweiz»
Herbstinserat zur «Anerkennung auch für nichtchristliche Religionen». Frühlingsinserat «Kein Platz für Religionskriege» zum Film von Mel Gibbson «The passion of the Christ».
2004
Abschied von Sigi Feigel: In der Nacht des 28. August 2004 starb Sigi Feigel. Bis in die letzte Lebenswoche hat er sich mit Plänen und Aktionen zum Schutz der Minderheiten befasst.
Sigi Feigels Tod war für die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz ein äusserst einschneidende Zäsur und ein riesiger Verlust. Er hatte mit seiner unbändigen Energie und seinem Menschenbild der Gleichwertigkeit aller Menschen ganz viel ins Rollen gebracht. Mit ihm ist eine unverwechselbare und unersetzbare Stimme in der Schweiz verstummt.
Tröstlich ist, dass die drei Stiftungen und Gesellschaften, die er ins Leben gerufen hat, immer noch existieren und seine Ideen weitertragen.
Der Jahresschwerpunkt: Muslime in der Schweiz
Die Fachtagung «Muslime in der Schweiz – Chancen und Hindernisse der Integration» wird von 150 Personen besucht.
2005
Ronnie Bernheim kommt in den GMS-Vorstand. Er war Nachfolger von Sigi Feigel als GRA-Präsident geworden. GMS-Sekretariat zügelt zu ihm.
2006
- Die Rassismusstrafnorm 261bis gerät unter Druck von BR Blocher und der SVP
BR Blocher in Ankara: er habe Bauchweh wegen der Rasssimusstrafnorm. Seine SVP gab ihm Support mit einer Stellungnahme. Unter dem Titel «Ja zur Meinungsäusserungsfreiheit – Nein zur Bevormundung der Bürger. Kritische Anmerkungen zum Antirassismus-Artikel». Dieses kulminiert in den drei Forderungen: «Der Antirassismus-Artikel ist zu streichen. Die Rassismus-Kommission ist aufzulösen. Die Rassismus-Konvention ist zu kündigen. »
Die GMS reagierte umgehend mit einer Medienmitteilung, in der sie gegen den Ausland-Auftritt von BR Blocher gegen geltendes schweizerisches Recht Stellung nahm und sich auf Grund ihrer Erfahrungen hinter die Rassismusstrafnorm stellte.
Muslimische Gräberfelder wurden ein Thema, weil die muslimischen Einwohner:innen ins Alter gekommen sind.
2007
Das Vademecum «Vom Umgang mit der Rassismus-Strafnorm Art. 261bis Strafgesetzbuch» wird erarbeitet, das gemeinsam mit der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA dreisprachig zusammen mit dem Jahresband 2006 der Chronologie «Rassismus in der Schweiz» öffentlich verbreitet wurde.
Impulstagung im Marriot Hotel «Rassismus – kein Kavaliersdelikt.» Dabei wurden drei konkrete Fälle nicht in Form von Referaten abgehandelt, sondern direkt auf der Bühne des Saales als Gerichtsverhandlungen mit Anklage, Verteidigung und Urteilsverkündung in szenischer Gestaltung.
2008
Dr. iur. Giusep Nay, ehemaliger Präsident des Bundesgerichts wird zum neuen Präsidenten GMS gewählt, ich werde zweite Vizepräsidentin neben Dina Berlowitz, die gleichzeitig auch Quästorin ist. Wir bilden zusammen mit dem Präsidenten den Präsidialausschuss
2009
Impulstagung «Ängste von und vor Minderheiten» zusammen mit der Paulus-Akademie
Werner Kramer leitet die Projekte «Sigi Feigel-Gast-Professur» und «Muslimische Grabfelder», Willi Wottreng das Projekt «Standplätze für Fahrende».
2011
Dr. iur. Giusep Nay gibt aus gesundheitlichen Gründen das Präsidium schon wieder ab.
Interimistisch leite ich zusammen mit Dina Berlowitz die GMS.
2012
Wahl von a.Regierungsrat Dr. Markus Notter zum Präsidenten. Barbara Schmid-Federer und Balthasar Glättli erklären sich bereit, mit der GMS zusammenzuarbeiten und als Bindeglieder zum Nationalrat zu funktionieren.
2013
Der erste Standpunkt erscheint zum Thema «Die Wiederkehr der Überbevölkerung».
2014
An der MV werden Gülcan Akkaya, Vizepräsidentin der EKR Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und Sadou Bah, Gründungsmitglied der Autonomen Schule Zürich, gewählt. GMS-Broschüre «Ein Grabfeld für Muslime» wird erarbeite und an alle Gemeinden verschickt.
Tagung mit der Paulusakademie: «Immer Ärger mit den Fremden…» mit 120 Teilnehmenden.
2015
Die GMS-Broschüre zum Thema «Welcher Schutz bietet die EMRK den Minderheiten bzw. welche Auswirkungen hat die EMRK für die Minderheiten?» wird in Auftrag gegeben
2016
Pascal Pernet kommt in den Vorstand.
Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative ist ein wichtiges Thema
Die GRA und GMS sind Partnerorganisationen der von der Integrationsförderung der Stadt Zürich organisierten mehrmonatigen Veranstaltungsreihe «Rassismus in der Mitte der Gesellschaft»
Die GMS ist am «Runden Tisch Rassismus» der Stadtpolizei Zürich zum Thema Rassismus und Polizeiarbeit dabei.
2017
Die Minarettverbotsinitiative beschäftigt die GMS
Giulia Reimann kommt in den Vorstand
Die GMS erarbeitet die Informationsbroschüre «Fahrende auf Privatland» und liefert so grundlegende Informationen für die betroffenen Landwirte und Gemeinden und erläutert die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter welchen diese Tradition in der Schweiz erlaubt ist.
2018
Präsident Dr. Markus Notter und der Ehrenpräsident Prof. Werner Kramer treten ab. Pfarrer Christoph Sigrist wird gewählt.
Geplante Tagung zur Situation der Sans-Papiers musste zum ersten Mal abgesagt werden.
2019
Monica Diener kommt in den Vorstand
Im Newsletter 2019 wurde unter anderem ein Beitrag von Walter Kälin zum Thema «Klimawandel und Zwangsmigration: eine besondere Herausforderung für Minderheiten» publiziert.
Referat vom 6. Juni 2019 von Ladina Heimgartner «Die Rolle und Bedeutung von RTR für die romanische Minderheit in der Schweiz»
Aus Anlass des Reformationsjahres 1519/2019 fand eine Podiumsdiskussion mit Jacques Picard, Peter Niederhäuser und dem GMS-Präsidenten Christoph Sigrist statt.
2020
Judith Jordáky kommt in den Vorstand.
Standpunkte zu Corona: Im Jahr 2020 hat sich die GMS mehrmals zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die in der Schweiz lebenden Minderheiten geäussert.
Es findet die letzte Sigi-Feigel-Gastprofessur statt.
Einsatz der GMS für den Transitplatz Wigoltingen.
2021
Dina Wyler kommt, Dominic Pugatsch geht
Claudia Kaufmann referiert an der MV zur Lage der Menschenrechte in der Schweiz.
2022
Petra Camathias geht, Chatrina Gaudenz kommt.
Referat und Podiumsdiskussion mit Hanna Salamat vom ZIID und Dina Wyler GRA zum Thema «Wer ist hier eine Minderheit?»
2023
Amrei Gerdes kommt als neue Mitarbeiterin zur GMS und Dina Wyler tritt aus dem Vorstand der GMS als zurück. Ihre Nachfolgerin wird Stephanie Graetz.
Muris Begovic kommt als Vertreter der VIOZ in den Vorstand.
Alma Wiecken, Leiterin des Sekretariats der EKR und Giulia Reimann, wiss. Mitarbeiterin und Stv. Leiterin Sekretariat EKR referieren zum Thema «Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz in der Schweiz – Bestandsaufnahme und Blick in die Zukunft».
Präsidenten der GMS
1982 – 1990 Gründungspräsident Alt BR Willy Spühler
1990 – 2008 Werner Kramer
2008 – 2010 Giusepp Nay
2011 Cécile Bühlmann interimistisch
2012 – 2018 Markus Notter
Seit 2018 Christoph Sigrist
Vizepräsident:innen
Seit Beginn Sigi Feigel geschäftsführender Vizepräsident
Seit Beginn Alfred A.Häsler
Nach Sigi Feigels Tod im Jahr 2004: Ueli Bär bis zu seinem Tod 2007
(Ronnie Bernheim GRA-Präsident, seit 2005 im GMS-VS)
Ab 2008 Cécile Bühlmann und Dina Berlowitz
Ab 2014 Cécile Bühlmann allein
Der Fischhof-Preis
Jahr Preisträger*in
2021 Lukas Bärfuss, Autor
Denise Graf, Juristin und Menschenrechtsaktivistin
2018 Walter Kälin, emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht
Iluska Grass, mutige junge Bürgerin
2016 Amira al-Jabaji, Publizistin, Islamwissenschaftlerin
Samuel Althof Kessler, Extremismusexperte
2014 Marcus Pfister
Ulrich E. Gut (GRA-Medienpreis)
2011 Dick Marty, Ständerat
Claudia Kaufmann, Ombudsfrau der Stadt Zürich
2009 Stress, Musiker
Robert Huber, Präsident Radgenossenschaft der Landstrasse
2007 Anni Lanz, Menschenrechtsaktivistin
Georq Kreis, Präsident Eidgenössische Kommission gegen Rassismus
2005 Sepp Blatter, Präsident der FIFA
Paul Rechsteiner, Nationalrat
2003 Kaspar Villiger, Bundesrat
2001 Josef Estermann, Stadtpräsident Zürich
Rolf Bloch, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund
1999 Flavio Cotti, Bundesrat
1997 Cécile Bühimann, Nationalrätin
Lili Nabholz, Nationalrätin
1995 Rosmane Dormann, Nationalrätin –
Peter Surava, Autor
1994 Verena Grendelmeier, Nationalrätin
Jürg Frischknecht, Autor
1992 Alfred A. Häsler, Autor
Rolf Lyssy, Filmemacher
Drei Preisträger:innen erhalten den Fischhof-Preis 2024
Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) und die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS), unterstützt vom Sigi und Evi Feigel-Fonds, ehren mit der Verleihung des Nanny und Erich-Fischhofpreises drei Persönlichkeiten, die sich kontinuierlich gegen Diskriminierung und für den Schutz von Minderheiten einsetzen.
Die Preisträger:innen der diesjährigen Preisverleihung:
Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller setzt sich seit Jahren auf der politischen Ebene gegen Antisemitismus und zum Wohl der jüdischen Gemeinschaft ein. Geprägt wurde sie durch das geistige Erbe ihrer Grossmutter Paulina Borner, die im Zweiten Weltkrieg jüdischen Geflüchteten in der «Rosenlaube» in Baden Schutz bot. Ihre Mutter, die Schriftstellerin Rosemarie Keller, schrieb darüber ihren prägenden Roman «Die Wirtin». Binder war massgeblich daran beteiligt, das Verbot von Nazi-Symbolen politisch durchzusetzen. In der schweizerischen Aussenpolitik steht sie für die Einhaltung der Menschenrechte.
Alt-SP-Nationalrat Angelo Barrile kämpfte unermüdlich für Gleichheit und Inklusion in der Gesellschaft. Während seiner Amtszeit initiierte er eine parlamentarische Initiative zum Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen Symbolen und setzte sich auch für die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans gegen LGBTQ-feindliche Hassverbrechen ein. Vehement kämpfte er dafür, dass die Rassismus-Strafnorm um die sexuelle Orientierung erweitert wurde.
Nicola Neider Ammann ist Theologin und Leiterin des Bereichs Migration und Integration der katholischen Kirche Stadt Luzern. Sie verlor im Holocaust jüdische Verwandte väterlicherseits. Heute bietet sie Zugewanderten, darunter Geflüchteten, Migrant:innen und Sans-Papiers tagtäglich Schutz und Unterstützung. Zudem setzt sie sich auf zivilgesellschaftlich-politischer Ebene für deren Integration ein. Sie wirkte an der Migrationscharta mit, unterstützte das No-Frontex-Bündnis und engagiert sich seit der Gründung als Präsidentin der Sans-Papiers Beratungsstelle Luzern.
Der Nanny und Erich Fischhof-Preis in Höhe von CHF 50’000.- wird an Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen, die sich in der Bekämpfung von Rassismus im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen in der Schweiz verdient gemacht haben. Das Preisgeld wird paritätisch unter den Nominierten aufgeteilt.
Die Preisverleihung findet im November 2024 in Zürich statt.
Einladung Veranstaltung “Jenisches Leben Heute”
Wussten Sie, dass die Jenischen seit hunderten von Jahren in der Schweiz leben? Bis in die Siebzigerjahre haben die Schweizer Behörden die fahrende Lebensweise aktiv versucht zu unterdrücken. Heute leben rund 30’000 Jenische in der Schweiz. Die diesjährige Mitgliederversammlung der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS) widmet sich dem Thema “Jenisches Leben Heute”.
Nach der diesjährigen Mitgliederversammlung der GMS am 25. Juni 2024 laden wir zur öffentlichen Veranstaltung “Jenisches Leben Heute” ein.
Zunächst wird ein Inputvortrag zum Thema «Jenisches Leben Heute» von Venanz Nobel, Vertreter der jenischen Gemeinschaft, gehalten. Danach folgt eine Podiumsdiskussion mit den Filmemachern von «Ruäch – Eine Reise ins jenische Europa» und Herrn Nobel. Die Diskussion wird angereichert mit Ausschnitten aus dem Film.
Es folgt ein Apéro mit der Möglichkeit zum weiteren Austausch.
Kommen Sie gerne und bringen Sie andere Interessierte mit!
Datum: 25. Juni 2024
Zeit: 19:30 Uhr bis 21:30 Uhr inkl. Apéro
Ort: Pädagogische Hochschule Zürich, Raum: LAA-J002C, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich
Hier können Sie sich für die Veranstaltung anmelden: RSVP Formular
Züri City Card nach der gewonnenen Abstimmung vom 15.5.2022
Die Züri City Card wurde durch die urban citizenship oder Stadtbürger:innenschaft inspiriert und orientiert sich an der Vision einer Sanctuary City, in der alle Einwohner: innen alle Rechte ohne Ausgrenzung geniessen.
Die Züri City Card ist somit ein Instrument für die Inklusion der Stadtbewohner:innen. Sie soll die Solidarität unter den Bewohner: innen fördern; die Grundrechte aller wahren und für Sans-Papiers Aufenthaltssicherheit bei Polizeikontrollen ermöglichen.
Um was für eine Abstimmung handelte es sich damals?
Um Verwirrung zu vermeiden, erinnern wir uns an das Ziel dieser Abstimmung: Es wurde über einen Rahmenkredit von 3.2 Millionen für die Vorbereitungsarbeiten zur Einführung der Züri City Card abgestimmt.
„Der Rahmenkredit dient dazu, die Züri City Card auszuarbeiten. Dazu gehören technische und organisatorische Abklärungen, die für die Herstellung und Ausstellung des Stadtausweises nötig sind. Die Stadt muss ausserdem Massnahmen einleiten, damit die Züri City Card von der Bevölkerung und wichtigen Stellen getragen wird. Gemäss Stadtrat dürften diese Vorbereitungs- und Umsetzungsarbeiten rund drei bis vier Jahre dauern“ hiess es in einer Mitteilung der Stadt Zürich.
Eine kleine Chronologie
Das Projekt begann 2015 in Form eines Hafenforums. Da entstand die Idee, einen Ort zu schaffen, der sich mit einem Hafen identifiziert: das Gefühl der Sicherheit, das mit der sicheren Ankunft in einem Hafen verbunden ist! Das ursprünglich künstlerische Projekt wurde nachher von einem Verein getragen, der sich seinerseits von der New Yorker ID inspirieren ließ. So entstand der Verein Züri City Card. Der Verein glaubte an die Erstellung der Karte durch die Stadtverwaltung von Zürich, musste dann aber feststellen, dass diese nicht legitimiert war, diese einzuführen. Von da an war klar, dass die Politik, also das Stadtparlament die Einführung der Züri City card machen musste.
Der Verein arbeitete mit Gemeinderät:innen zusammen und diese schafften es, dass am 11. Juli 2018 im Gemeindeparlament eine Motion verabschiedet wurde, die darauf abzielte, von der Stadtregierung die Einführung eines Stadtausweises zu fordern. Nachdem zwei juristische Gutachten, die von der Stadtregierung in Auftrag gegeben worden waren, festhielten, dass die Stadt Zürich legitimiert ist, einen solchen Ausweis auszustellen, der auch für die Polizei rechtsgenüglich ist, bekannte sich der Stadtrat knapp zwei Jahre später zur Züri City Card. Zu deren Realisierung forderte der Stadtrat einen Kredit von 3.2 Millionen. Dieser wurde vom Gemeinderat der Stadt Zürich gutgeheissen. Die rechten Kräfte widersetzen sich dem Projekt mit einem Referendum. So kam es am 15. Mai 2022 zu einer Volksabstimmung in der Stadt Zürich, welche den Kredit aber guthiess.
Nach der Euphorie des Sieges folgte seitens des Vereins eine Zeit des Fragens nach der weiteren Legitimierung und der Inaktivität. Für einmal lag die Sache nicht mehr in seinen Händen! Denn ein Arbeitsausschuss der Stadt wurde damit beauftragt, die Modalitäten für die Ausstellung der Karte zu erarbeiten.
Um über ein Weiterleben des Vereins zu diskutieren, organisierte der Verein Züri City Card am 26. November 2022 eine Klausurtagung. Dabei wurde beschlossen, den Verein wieder neu zu beleben und inhaltlich zu erweitern. Es braucht den Verein für die kritische Begleitung der Stadtverwaltung bei den Vorarbeiten zur Züri City Card; damit diese auch im Sinn des Vereins umgesetzt wird. Sehr wichtig bleibt der Verein auch bei einer wahrscheinlich zweiten Abstimmung über eine Gesetzesänderung für die Züri City Card – das erneute Referendum von FDP und SVP wird erwartet. Darüber hinaus beschloss der Verein sich für die Weiterentwicklung der ‚urban citizenship‘ in Zürich einzusetzen.
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz
Sprachen sind keine „Behinderung“
Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.
Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.
Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.
Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.
Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.
Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!
Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
Antisemitismus in Verschwörungserzählungen
Verschwörungserzählungen gibt es seit Jahrhunderten, oft dienten sie als Erklärungen für Phänomene, die sich die Menschen nicht erklären konnten und die sie ängstigten. In neuester Zeit grassieren sie auf beunruhigend hohem Niveau wieder neu. Die Corona-Pandemie war ein erster grosser Trigger. Die aktuellen Kriege und ihre unabsehbaren Folgen für die ganze Welt tragen das ihre dazu bei, dass diese Narrative immer schlimmere Blüten treiben. Den Verschwörungserzählungen ist eines gemeinsam: der Glaube an eine heimliche grosse Macht, die alles steuert und alles Übel verschuldet. Je unübersichtlicher die Welt und je dramatischer die Lage, umso anfälliger sind viele Menschen für diese einfachen Erklärungen.
Diese heimliche Macht wird in den meisten Verschwörungsnarrativen den Juden zugeschrieben. Der Antisemitismus dient als verbindendes Element, der als gemeinsamer Nenner verschiedene Verschwörungserzählungen miteinander verknüpft.
Das ist nicht neu, gab es doch schon im Mittelalter Ideen einer jüdischen Verschwörung gegen die Christenheit. Es gab Anschuldigungen gegen über der jüdischen Bevölkerung wegen angeblicher Brunnenvergiftungen, Ritualmorden, Hostienfrevel und anderen Ungeheuerlichkeiten. In neuere Zeit kam der Mythos der jüdischen Weltverschwörung auf und das sogenannte Weltjudentum wurde für die modernen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen und die damit verbundenen Existenzängste verantwortlich gemacht.
Um 1903 tauchte zum ersten Mal das antisemitische Machwerk «Die Protokolle der Weisen von Zion» auf und diente den Nazis als Hetzschrift gegen die den Juden und Jüdinnen unterstellte Weltherrschaft. Sie verschrien das «Weltjudentum» als Drahtzieher sowohl für den Finanzkapitalismus wie auch für den Bolschewismus. In einem Aufsehen erregenden Prozess, der vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) in der Schweiz angestrengt worden war, wurde die Schrift 1935 als Fälschung entlarvt.
Solche Clischés wirken bis heute nach und tauchen in unterschiedlichen Formen immer wieder auf.
Sie erhalten Nahrung durch die weltweite Vernetzung, die Globalisierung. Diese macht die Entwicklungen und Entscheide der Wirtschaft und anderer global tätiger Organisationen für viele Menschen undurchschaubar und unheimlich. Da bietet sich das Narrativ der Weltherrschaft geradezu an, um die als Zerstörung nationaler, politischer und kultureller Identität empfundene Entwicklungen durch «globale Eliten» anzuprangern.
Zsolt Balkanyi, der Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA sagte kürzlich in einem Interview, dass solche Vorstellungen und stereotype Vorurteile von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung in den tiefen gesellschaftlichen Schichten lauern würden und dort konserviert seien und dass sie durch den Krieg in Gaza getriggert und an die Oberfläche schwappen würden. Durch die sozialen Medien werden solche Narrative heute weltweit unglaublich schnell verbreitet. Balkanyi nennt den heutigen Antisemitismus altes Gift in neuen Schläuchen und bezeichnet ihn als eine demokratiezersetzende Kraft. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle an demokratischen Gesellschaften interessierten Menschen gegen den Antisemitismus engagieren.
Philip Bessermann, der Geschäftsführer der GRA schreibt, dass in vielen Fällen Juden und Jüdinnen als Sündenböcke für komplexe politische, wirtschaftliche oder soziale Probleme dargestellt werden. Diese Vorstellungen schaffen eine einfache Erklärung für komplexe Phänomene und schüren Misstrauen gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, wodurch antisemitische Einstellungen verstärkt werden. Letztendlich fungiert der Antisemitismus als Klebstoff, der verschiedene Verschwörungstheorien zusammenhält und ihnen eine gefährliche Kohärenz verleiht.
Dass das bedrohlich für jüdische Menschen werden kann, zeigt die lebensbedrohliche Messerattacke auf einen Juden in Zürich von anfangs März. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen und über Strategien dagegen nachzudenken und aufzuklären ist Aufgabe der GMS.
«Racial Profiling» in der Schweiz: Der Fall Wa Baile
Die begrüssenswerte Verurteilung der Schweiz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Wa Baile für sog. Racial Profiling bei einer Personenkontrolle stellt einen entscheidenden Moment für die Schweiz dar. Letztere steht nun in der Pflicht, konkrete und wirkungsvolle Massnahmen zu ergreifen, um rassistische Polizeikontrollen in Zukunft effektiv zu verhindern. Sie hat aber auch den Moment, gesamtgesellschaftliche Massnahmen gegen institutionellen und strukturellen Rassismus zu ergreifen.
Was ist Racial Profiling?
Der Begriff Racial Profiling bezeichnet alle Formen diskriminierender Kontrollen gegenüber Personengruppen, die von Verwaltungsbeamt:innen als ethnisch oder religiös «anders» wahrgenommen werden. Im Schweizer Kontext sind neben People of Color auch Personen aus der Balkanregion (insbesondere Rom:nja) sowie aus arabischen Ländern und Muslim:as von ungerechtfertigten polizeilichen Kontrollen betroffen. Profiling bezeichnet die gezielte Kategorisierung von Menschen. Problematisch wird es, wenn diese Methode diskriminierend erfolgt. Dies ist der Fall, wenn das Verhalten der kontrollierten Person keinen Anlass für eine Personenkontrolle gibt, die kontrollierte Person aufgrund ihres Aussehens von den Beamt:innen als «fremd» wahrgenommen wird und kein sachlicher Grund für eine Kontrolle vorliegt. In der Schweiz hat die Polizei unter anderem die Aufgabe, ausländerrechtliche Massnahmen durchzusetzen. Dies macht es in der Realität oft schwierig nachzuweisen, ob es sich um ungerechtfertigtes, also rassistisches Profiling handelt oder nicht. In der Praxis kommt Racial Profiling vor allem im Zusammenhang mit Personenkontrollen durch Polizei und Grenzschutz vor.
Zum Sachverhalt
Mohamed Wa Baile wurde vor neun Jahren am Hauptbahnhof Zürich einer Personenkontrolle unterzogen. Der zuständige Polizist gab später als Grund an, Herr Wa Baile habe den Blick von ihm abgewandt, woraus sich der Verdacht eines ausländerrechtlichen Vergehens ergeben habe. Herr Wa Baile, der die Kontrolle als rassistisch empfand, weigerte sich, seine Personalien anzugeben. Dafür wurde er mit einer Busse bestraft. Das Bundesgericht bestätigte im Jahr 2018 die Verurteilung von Mohamed Wa Baile durch das Zürcher Obergericht. Herr Wa Baile erhob dagegen Beschwerde beim EGMR in Strassburg. Der strategische Prozess wurde von der Allianz gegen Racial Profiling organisiert und von Amnesty International sowie der Open Society Justice Initiative unterstützt.
Zum Urteil
Der EGMR entschied, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in dreifacher Hinsicht verletzt hat. Erstens sei Wa Bailes aufgrund Art und Weise, wie die Personenkontrolle durchgeführt worden sei, wegen seiner Hautfarbe diskriminiert worden. Zudem hätten die Schweizer Instanzen nicht ausreichend geprüft, ob bei der Kontrolle diskriminierende Gründe eine Rolle gespielt haben könnten. Darüber hinaus bemängelte der EGMR, dass Wa Baile kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden habe.
Umsetzung
Die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz begrüsst dieses Urteil! Denn der Fall Wa Baile stellt ein wegweisendes Urteil für den europäischen Menschenrechtsschutz dar. Die Schweiz – und mit ihr alle anderen Mitgliedstaaten der EMRK – müssen wirkungsvolle Vorkehrungen treffen, um Racial Profiling in Zukunft effektiv zu verhindern. Es muss ausserdem möglich sein, im Nachhinein von Personenkontrollen zu prüfen, ob diskriminierende Motive vorlagen. Verantwortlich für die Umsetzung sind Parlamente, Regierungen, Verwaltungen, Justiz und Polizei. In der Schweiz ist die Polizeiarbeit kantonal organisiert und geregelt. Daher liegt es nun vor allem an den Sicherheitsdirektor:innen und ihren Departementen, wirksame Massnahmen gegen diskriminierendes Profiling zu treffen. Dazu gehören insbesondere konkrete Richtlinien zur Vermeidung von «Racial Profiling», die deren rechtliche Durchsetzbarkeit sicherstellen, sowie die Integration des Themas in die polizeiliche Ausbildung und regelmässige Sensibilisierungsmassnahmen im Polizeikorps. Zu denken ist auch an die Einrichtung unabhängiger Meldestellen für Fälle von «Racial Profiling», die Einführung von Quittungen für Personenkontrollen, die Ausstattung von Polizist:innen mit Körperkameras zur Dokumentation von Vorfällen und die Sicherstellung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für Vorfälle im Polizei- und Justizbereich.
Bedeutung
Die Schweizer Demokratie geniesst national und international einen hohen und besonderen Stellenwert. Umso bitterer ist es, wegen der Verletzung von Grund- und Menschenrechten verurteilt zu werden. «Racial Profiling» untergräbt zahlreiche wichtige Werte des demokratischen Rechtsstaates wie das Diskriminierungsverbot, die Gleichbehandlung, den Zugang zu chancengleicher gesellschaftlicher Teilhabe und das Vertrauen in staatliche Institutionen. Die schweizerische Demokratie muss geschützt werden und ihre Erhaltung erfordert deshalb eine entschiedene und umfassende Aufarbeitung der Themen «Racial Profiling» im Speziellen und diskriminierende Praxen von Polizei und Justiz im Allgemeinen. «Racial Profiling» muss als Teil des institutionellen und strukturellen Rassismus in einer gesamtgesellschaftlichen Dimension bekämpft werden.
Ein lesenswertes Interview mit dem Ombudsmann der Stadt Zürich Pierre Heusser über die Verurteilung der Schweiz durch den EGMR in einem Fall von Racial Profiling und den Konsequenzen, welche die Behörden aus dem Urteil ziehen können bzw. müssen
Minderheitenschutz. Minderheitenregime. Geforderte Institutionen.
Beitrag von Dr. Yeboaa Ofosu
Der Ruf nach Diversifizierung unserer Institutionen ist da und deutlich hörbar. Lange hiess Diversifizierung hauptsächlich Frauenförderung und es konnte reichen, auf eine (wortreiche oder stumme) Gleichstellungsbeauftragte und deren Pflichtenheft zu verweisen. Doch mittlerweile sind ganz andere Aspekte von Identität in unser Blickfeld gerückt. Keine öffentliche oder private Institution kann heute ernsthaft ausschliesslich Frauenförderung als Antwort auf Diversitätsforderungen nennen oder betreiben. Der Schritt aus diesem Feld heraus scheint allerdings schwierig. Und tatsächlich birgt er einigen Zündstoff.
Frauen sind keine Minderheit. Und ihre vermehrte Anstellung in den Betrieben ist relativ einfach, auch angesichts der stark gestiegenen Frauenanteile in Lehrbetrieben und an Universitäten. Heute geht es um den Einbezug echter Minderheiten und darum, eine Diskussion über und mit Minderheiten zu führen und deren Forderungen ernst zu nehmen. Und insbesondere geht es um die Frage, wie umzugehen ist mit Forderungen, die gänzlich andere (soziale, gesundheitliche, persönliche) Aspekte der Identität in die Diskussion bringen, als die Mehrheit es sich gewohnt ist.
In diesem Zuge lässt sich erkennen, dass es ältere und neuere Minderheiten gibt: Der Einbezug körperlich beeinträchtigter Menschen ist in unserem Land zwar noch nicht zufriedenstellend verwirklicht; als eine allen bekannte Minderheit findet sie allerdings breite Akzeptanz. Beeinträchtigung als Grund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit löst bei der Mehrheit Empathie aus. Man unterstützt, dass sich die Gesellschaft dieser Menschen annimmt. Solches ist bei manchen neueren Minderheiten nicht der Fall. Die Gesellschaft tut sich zum Beispiel schwer, wenn es um die Integration anderer Geschlechteridentitäten geht; umso mehr, wenn es darum geht, unsere Institutionen dahingehend zu diversifizieren. Das umtriebige Internet nennt am heutigen Tag 72 Geschlechteridentitäten und verwendet dabei Begriffe, die den meisten Menschen unbekannt oder unvorstellbar sind. Wie umgehen also mit Forderungen, die für viele fremd bis abstossend klingen, überzogen scheinen, und die die persönlichen Werte angreifen oder Angst auslösen? Oder wie umgehen mit Forderungen, dass nichtweisse Personen safe spaces benötigen zum Rückzug aus dem rassistischen Terrain der allgemeinen Öffentlichkeit? Wie überdies umgehen mit dem Wettbewerb unter diesen neueren Minderheiten, Minderheiten, die wir bisher gar nicht als solche erkannt und schon gar nicht berücksichtigt oder anerkannt haben? Und wie schliesslich umgehen mit den Reaktionen derer, die auf die Skepsis der überforderten Mehrheit reagieren?
Betrachten wir einmal das Thema Toilette: all die neuen Schilder in Restaurants, auf Hochschulgängen und in Theatern, die entstanden sind als Reaktion auf die Forderung nach Aufhebung der binären Toilettenordnung. Diese Neuerungen realisieren sich durch Wortschöpfungen und bedeutungsvolle Zeichen, die uns klar machen, wer welche Türe aufzustossen hat. Gefordert sind drei statt zwei Nassräume oder aber der Zugang beider Nassräume für alle wie auch immer gelagerten Geschlechter. In den Reaktionen (und Nichtreaktionen) auf diese Forderungen unterscheidet sich übrigens deutlich Stadt und Land, und es outen sich sowohl kreative Geister wie auch Menschen, die Angst vor diesen Neuerungen haben. Eine Lösung, die allen entspricht, scheint kaum möglich.
Welche Aspekte der Identität lassen sich in eine Diskussion einbringen? Verstehen wir Identität als das Ureigene oder als dasjenige, was wir mit anderen (wenn auch nicht allen) teilen? Wie viele Personen braucht es, um eine Minderheit zu sein? Gibt es mehr oder minder wertvolle Minderheiten? Wie wollen wir gerecht urteilen, ob die eine Spezifik der Identität gravierender ist als eine andere?
Es scheint, als hätten wir lange klare Verhältnisse gehabt zwischen der Mehrheit und den älteren Minderheiten. Minderheiten hatten ihre überschaubare Zahl, sie waren erkennbar, benennbar, sie waren Grund für Mitleid oder Ablehnung und hatten mehr oder weniger die Aufmerksamkeit der Mehrheit. Gerne hat die Mehrheit den Umgang mit ihnen auch an Interessensvertretungen delegiert. Denn einige von ihnen haben eine Lobby. Sie hatten jedenfalls einen klar definierten Anteil an der Diskussion.
Minderheitenschutz
Da dieses Verhältnis nun aufbricht und mehr Menschen Teil sind der Diskussion, ist die Mehrheit stark gefordert. Identitätspolitik ist zum Schimpfwort geworden: zurecht dort, wo sie überzogene und undemokratische Einzelforderungen stellt; zu Unrecht dort, wo wir wissen sollten, dass am Anfang jeder Politik Identitätspolitik steht. Wie wären wir denn sonst zum Frauenstimmrecht gekommen? Wie wären körperlich Beeinträchtigte zu mehr Gleichberechtigung oder Zugang zu unseren Städten und zum ÖV gekommen? Wie auch immer wir eingestellt sind, sollten wir uns daran erinnern, dass wir dem Minderheitenschutz verpflichtet sind. Wir müssen Minderheiten schützen. Sie sind oftmals Opfer, gar systematisch. Haben wir aber das Recht auf die eben beschriebenen Vorbehalte gegenüber diesen neueren oder uns neu erscheinenden Minderheiten in der Gesellschaft?
Minderheitenregime
Hier hilft nun der Begriff des Minderheitenregimes. Er beschreibt den Vorgang, dass eine Minderheit der Mehrheit Regeln vorgibt. Und er führt augenblicklich zur Frage, ob eine Minderheit dazu berechtigt ist. Diese Frage provozieren insbesondere die neueren Minderheiten, die lauter und fordernder auftreten, als die Mehrheit es kennt, mit Aspekten der Identität, deren Relevanz nicht alle teilen. Und da gelangen wir auch schon zum Wettbewerb unter den Minderheiten, bei dem die alt hergebrachten Minderheiten sich nicht mehr verstanden fühlen. So entstehen Polarisierungen, obwohl wir alle wissen, dass Polarisierung keine gute Grundlage für Lösungen in schwierigen Situationen ist. Wir wissen, dass aus dieser aufgeheizten Stimmung heraus der gebotene Minderheitenschutz wohl kaum realisiert wird. Wie denn, wenn aus der Polarisierung heraus grosse Teile der Gesellschaft damit beschäftigt sind, sich gegen dasjenige zu wehren, was der Begriff Minderheitenregime meint. Eine schwierige Situation!
Was ist geraten?
Einige Menschen und Institutionen haben bereits auf gute Weise das Problem angepackt und vorwärtsgemacht. Deshalb verfügen wir langsam über practice – sie ist teils bereits best practice, teils ist sie es noch nicht. Darauf gilt es, uns zu konzentrieren: auf die Weiterführung des Diskurses. Innehalten im Streit. Innehalten in der Polarisierung. Heraus aus der Stagnation. Weg von Ideologie. Diese practice findet sich in Theaterhäusern, in Abteilungen unscheinbarer KMUs, in Museen, im Gemeindezentrum und auf dem Bundesamt. Und deshalb ist dies mein Aufruf: Bitte kommuniziert diese practice! Was genau sind diese Beispiele? Wie funktionieren sie? Welche Probleme waren da? Was hat sich wie zum Guten gewendet? Was ist die Institution nach diesem Wandel? Was ist nicht ratsam? Und warum nicht? Und was war das, worüber einmal plötzlich alle lachen mussten?
Dr. Yeboaa Ofosu, Kulturwissenschaftlerin
Dr. Yeboaa Ofosu ist promovierte Kulturwissenschafterin. Sie arbeitet seit 2006 an der Hochschule der Künste Bern HKB. Zwischen 2014 und 2022 war sie hauptberuflich am Migros-Kulturprozent (MGB) tätig, seit 2021 amtet sie Präsidentin des Schlachthaus Theater Bern
Der Diskriminierungsschutz in der Schweiz ist ungenügend: Bestandsaufnahme und Blick in die Zukunft
Der rechtliche Diskriminierungsschutz in der Schweiz lässt sehr zu wünschen übrig. Gerade im Zivilrecht – d.h. bei Diskriminierungen im Verhältnis zwischen Privaten – ist der Rechtsschutz mangelhaft. Im europäischen Vergleich fällt die Schweiz hier stark ab.
An der letzten Generalversammlung der GMS haben die Juristinnen Alma Wiecken, Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und Giulia Reimann, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der EKR, ein Inputreferat zum zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz gehalten und bestehende Lücken aufgezeigt.
Zwei Konkrete Beispiele
Beispiel 1: Frau A. bewirbt sich auf eine Stelle als Pflegefachfrau in einer Altersresidenz. Sie bewirbt sich bewusst ohne Foto, weil sie vermutet, dass ihr Dossier in der Vergangenheit häufig aufgrund ihrer Hautfarbe abgelehnt worden ist. Sie wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Gleich zu Beginn sagt ihr die Geschäftsleiterin, dass sie leider keine Personen mit dunkler Hautfarbe anstellen, da die Bewohner:innen sich das nicht gewohnt seien. Vom HR erhält Frau A. eine schriftliche Absage, in der lediglich steht, man hätte sich für jemanden anderes entschieden. Die Rechtsschutzversicherung von Frau A. erklärt ihr, dass rechtliche Schritte wenig Erfolg versprächen, da eine diskriminierende Absage vorliegend nicht nachgewiesen werden könne.
Beispiel 2: Familie B. wohnt in einem Block. Die Nachbarin von oben ist eine ältere Frau, die Familie B. ständig wegen ihres muslimischen Glaubens schikaniert und beleidigt. Sie schüttet z.B. Wasser vom Balkon herunter und verängstigt die beiden Kinder. Familie B. hat sich schon mehrmals an die Verwaltung gewendet, aber diese will sich nicht einmischen. Die Polizei hat die Nachbarin einmal verwarnt, aber geändert hat sich nichts. Die Situation ist für Familie B. sehr belastend. Ein Wegzug kommt aus finanziellen Gründen nicht in Frage und die Wohnung ist in der Nähe der Schule der Kinder. Der Mieterverband informiert Familie B., dass das Mietrecht leider keine Regelung enthalte, die Vermieter:innen verpflichtet, Mieter:innen gegen Diskriminierung zu schützen.
Rechtslage in der Schweiz
Die Schweiz verfolgt einen sog. «sektoriellen Ansatz». Das bedeutet, dass es kein globales Antidiskriminierungsgesetz gibt, wie dies etwa in Deutschland, Österreich oder im Vereinigten Königreich der Fall ist. Solche allgemeinen Antidiskriminierungsgesetze regeln zum einen verschiedene Lebensbereiche, wie Arbeit, Wohnen, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen decken sie sämtliche Diskriminierungsmerkmale ab, also z.B. Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, nationale und ethnische Herkunft, Religion, Behinderung usw. In der Schweiz gibt es bislang nur Spezialgesetze für die Sicherung der Gleichstellung von Mann und Frau (das Gleichstellungsgesetz) sowie für die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung (das Behindertengleichstellungsgesetz). Diese beiden Gesetze sind zwar sehr zu begrüssen, jedoch fehlen solche Spezialgesetze für andere Diskriminierungsmerkmale.
Schutzansätze finden sich im Obligationenrecht (OR) und im Zivilgesetzbuch (ZGB). So verankert letzteres den allgemeinen Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ZGB) und das Prinzip von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB). Im Arbeitsrecht findet sich der Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden (Art. 328 OR) und der Schutz vor missbräuchlicher Kündigung (Art. 336 OR). Diese Normen sind jedoch zu allgemein gehalten und nicht spezifisch auf Diskriminierungsfälle ausgerichtet. Noch schwerer anwendbar auf Diskriminierungsfälle ist sodann das Mängelrecht im Mietrecht (Art. 258 ff. OR).
Zu dieser mangelhaften Gesetzeslage kommen weitere Hürden für Betroffene hinzu. Etwa, dass die Beweislast bei der Durchsetzung der Rechte bei der diskriminierten Person liegt. Es ist meist unmöglich, eine Diskriminierung nachzuweisen oder die erforderlichen Beweise vorzulegen. Weiter ist ein Zivilverfahren sehr komplex und teuer. Das Kostenrisiko und die Angst vor möglichen Konsequenzen halten viele Betroffene davon ab, rechtliche Schritte zu unternehmen. Dies wiederum führt dazu, dass es im Zivilrecht kaum Rechtsprechung zu Diskriminierungsfällen gibt und somit viel rechtliche Unsicherheit besteht, sowohl bei Betroffenen wie auch bei Rechtsexpert:innen.
Verbesserungsvorschläge
Bereits 2015 hatte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte in einer Studie festgestellt, dass der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen mangelhaft ist. Seither hat sich jedoch kaum etwas geändert, obwohl in der rechtswissenschaftlichen Literatur Einigkeit darüber besteht, dass Verbesserungsbedarf besteht. Es werden auch Vorschläge gemacht, wie die Lücken gefüllt werden können.
Möglich wäre der Erlass eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes, welches klare Verpflichtungen für Arbeitgebende, weitere Institutionen und den Staat festlegt sowie klare Anweisungen und Vorschriften enthält, wie Diskriminierung vermieden oder bekämpft werden soll. Ein solches Spezialgesetz könnte sich z.B. am bestehenden Gleichstellungsgesetz orientieren und folgende Punkte regeln: Ein kostenloses Schlichtungsverfahren für Diskriminierungsfälle; eine Beweislasterleichterung, d.h. die betroffene Person muss die Diskriminierung nur glaubhaft machen und die Gegenpartei den Gegenbeweis erbringen; das Verbandsklagerecht, d.h. das Recht von Interessensverbänden, im Namen von einzelnen Betroffenen zu Klagen; Sanktionen für diskriminierende Belästigungen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, die bestehenden Regelungen im OR und im ZGB anzupassen. So könnte der Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht vom Anstellungsverhältnis auf das Bewerbungsverfahren erweitert werden. Im Mietrecht müsste überhaupt erst ein Persönlichkeitsschutz eingeführt werden. Im OR und auch im ZGB könnte eine Beweislasterleichterung für Diskriminierungsfälle gelten. Für Missbräuchliche Kündigungen sollten die Sanktionen erhöht werden. Denkbar wäre zuletzt auch die Einführung von Pönalentschädigungen, die präventiv vor diskriminierendem Verhalten abschrecken sollen.
Die GMS setzt sich für einen hinreichenden Diskriminierungsschutz ein und unterstützt Vorhaben, die darauf abzielen, den rechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz zu verbessern.
Menschen sind keine «Massenware»
Es gehört zur prophetischen Predigt von Pfarrer Ernst Sieber, dass Obdachlose und Flüchtlinge nicht als «Menschenware», sondern als wahre Menschen behandelt werden. In unserer Geschöpflichkeit sind wir alle einander gleichgestellt, einem jeden Menschen kommt so Menschenwürde zu: Es gibt nicht zu viele Menschen mit dieser Menschenwürde, es gibt keine falschen Menschen mit dieser Menschenwürde.
Diese für unsere soziale Arbeit in der Diakonie und in der Stadt wichtige Erkenntnis hielt Pfarrer Ernst Sieber schon in den 1980er Jahren in einem seiner Bestseller unter dem Titel «Menschenware – wahre Menschen» fest. Fünfzig Jahre später schreibt nun die SVP in ihrem Positionspapier zur Ausländerpolitik: «Keine Massenware – wir wollen die Besten.» («Die SVP rechnet das Wirtschaftswachstum klein», NZZ 4.8.23)
Die Pauschalisierung von Menschen als «Massenware» verletzt das Grundgefüge unserer Gesellschaft, die sich am Wohl der Schwächsten messen lassen muss, so wie es die Präambel unserer Bundesverfassung postuliert. Es drängt sich uns die Frage auf: Wer wollen wir als Menschen sein?
Menschen werden hier zum Spielball von Wahlkampfrhetorik. Menschen, die wir begleiten und die uns anvertraut werden von der Gesellschaft. Sie hegen und putzen Häuser von Seebach bis zur Goldküste und leben zusammengepfercht in Notwohnungen, unerkannt und immer voller Angst, entdeckt zu werden. Ihre Kinder gehen in die Schule. Niemand darf wissen, was ihre Mutter tut.
Wer Menschen als «Massenware» bezeichnet, wählt nicht nur ein Wort, sondern offenbart eine Haltung Menschen gegenüber, die wir im Namen der stummen Stimmen zutiefst ablehnen.
Friederike Rass, Leiterin SWS/Pfarrer-Sieber-Werke
Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster Zürich und Präsident GMS
Mitten in der Wohnungskrise und doch unsichtbar: Sans-Papiers in Zürich
Die Wohnungskrise prägt das Leben der etwa 10’000 Sans-Papiers in Zürich besonders stark. Dennoch bleiben sie als Betroffene weitgehend unsichtbar. Über die Wohnerfahrungen einer Sans-Papier und die erschwerten rechtlichen Bedingungen in der Schweiz.
Fischhof-Preis prämiert zwei Politiker:innen und eine Aktivistin
Bei der diesjährigen Verleihung des Fischhof-Preises wurden erstmals drei Persönlichkeiten gleichzeitig für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus ausgezeichnet. Die Preisträger:innen sind alt SP-Nationalrat Angelo Barrile, Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller und Theologin Nicola Neider Ammann. Im Gespräch mit Moderator David Karasek reflektierten sie über ihre Arbeit, ihre Motivation sowie ihre Sorgen und Ängste – doch auch über ihre Hoffnungen, die trotz aller Herausforderungen spürbar waren.
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sprach ebenfalls mit David Karasek und fragte selbstkritisch: «Bin ich vielleicht selbst antisemitisch, ohne es zu merken?» Er machte darauf aufmerksam, wie tief Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft verankert sind und wie selten diese Mechanismen hinterfragt werden. Bewegende Laudationen von SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, alt SIG-Präsident Herbert Winter und alt Grünen-Nationalrätin Cécile Bühlmann würdigten die Leistungen der Preisträger:innen eindrücklich.
Der Fischhof-Preis setzt auch 2024 ein starkes Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art und bietet ein Gegennarrativ zu den Stimmen, die behaupten, das «Böse» sei unaufhaltsam. Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz vergeben den Fischhof-Preis, um denjenigen Personen eine Bühne zu geben, die sich für Gerechtigkeit, Demokratie und Inklusion einsetzen.
Eine fotografische Rückschau finden Sie hier.
Foto: Alain Picard